Kleine Ausfahrt übers Wochenende mit Gästen
Solange dauerte das Warten auf den neuesten Bericht. Sorry dafür. Wir haben uns den Start in unser neues Leben auch anders vorgestellt. Es gab, seit Bericht Nr. 4 auch nicht so viel zu berichten, ausser, dass wir auch warteten.
Im Klartext, wir liegen immer noch auf der Werft am selben Platz, im Wasser zwar, aber wir können nicht fahren. Das Getriebe ist schon wieder auf dem Weg zur Inspektion.
Wir erwarteten Gäste für einen Kurzbesuch und, wie beim letzten Mal, machten die Leute hier es möglich, dass wir über ein langes Wochenende fahren konnten (Bericht darüber kommt etwas weiter unten).
Es dauerte eineinhalb Monate bis das Getriebe wieder hier war und kurz vor Ankunft unserer Gäste, Freunde aus der Heimat, eingebaut werden konnte. Testweise musste ich dann den Motor, mit eingelegtem Gang, für über eine Stunde laufen lassen. Lilly hat sich dabei einfach in die Seile gedrückt. Unglücklicherweise fand sich danach wieder Getriebeöl in der Bilge darunter. Das sollte nicht sein, darum ging es, gleich nach unserer Rückkehr vom Ausflug wieder zurück zu den Experten.
In der Wartezeit davor wurden verschiedene andere Arbeiten an den übrigen Projekten ausgeführt. Wir liessen unseren ursprünglichen Plan, nach Holland zu fahren und dort diverses machen zu lassen, fallen. Wir sagten uns, wenn wir hier schon blockiert sind, können wir diese Arbeiten auch gleich in der Wartezeit hier machen lassen. Zähneknirschend haben wir uns damit abgefunden, dass es dieses Jahr nichts mehr wird mit Wegfahren. Oft fragen wir uns wieso hier alles so lange dauert. Die Gründe, soweit sie uns bekannt sind, sind: Lieferschwierigkeiten der Zulieferer für alle möglichen Teile. Corona, sehr viele Aufträge, teilweise Notfälle, nicht genügend Leute für dutzende von Schiffen, die auch auf irgendetwas warten müssen und nicht zuletzt: Frankreich. Fünfunddreissig Stundenwoche und gleichzeitig Fachkräftemangel. So kommt es, dass nicht nur an vielen Schiffen gleichzeitig gearbeitet wird, sondern selbst an der Lilly mehrere Projekte parallel laufen. Da kann es sein, dass die Schreinerin im Salon etwas ausmisst und gleichzeitig zwei Mechaniker im Maschinenraum Schwerarbeit leisten, während die Solarpaneele aufs Steuerhausdach platziert werden. Die Verkabelung derselben, inklusive Montage von Steuerteil, Sicherung und Hauptschalter im Maschinenraum, plus Anschluss ans Bordsystem, habe ich selbst gemacht. Als gelernter Elektriker sollte das kein Problem sein. Dafür hat mir der Werft-Elektriker einen Schaltplan gezeichnet und mich, leihweise, mit Spezialwerkzeug versorgt. Es freut einen, wenn man auf dem Kontrollpaneel sehen kann, wie viel Energie die Sonne einfach so zur Verfügung stellt. Dazwischen, also zwischen den Tagen mit Action, gibt es immer wieder Tage, an denen einfach gar nichts läuft. Das stimmt nun so aber auch nicht, wir haben Blick direkt auf das Atelier. Wir sehen also viele Leute hin und her gehen und den schweren Traktor mit dem Spezialanhänger, der Schiffe aus dem Wasser pflückt und andere wieder hineinlässt.
Trotz alledem lebt es sich hier einwandfrei. Lilly bietet ein wirklich schönes, bequemes und gemütliches Ambiente mit allen dafür notwendigen Einrichtungen. Dazu kommt eine schöne Lokation mit den wesentlichen Läden für alles, was man braucht. Nette Leidensgenossen, eine ansonsten hervorragende Werft, die nur Lösungen, aber kaum Probleme kennt.
Unser Kontakt hier, Phillippe Gerard hat immer ein offenes Ohr für unsere Sorgen, Vorschläge, Wünsche und Fragen. Wir können diese sogar in unserer Muttersprache in ebendieses Ohr flüstern. Auch dies ein Plus. Ausserdem hat er ermöglicht, dass wir unsere Freunde, die Müllers (Namen der Redaktion bekannt) an Bord nehmen konnten, kaum eine Viertelstunde später die Leinen loswarfen und Kurs auf die Schleuse Nr.67 nahmen. Dies aber leider nicht ohne Nebengeräusche. Der lebhafte Wind machte aus unserem eleganten Ablegemanöver mit Eindampfen in eine Steuerbord Vorspring leider etwas mit nicht ganz jugendfreien Äusserungen seitens des Skippers. Es brauchte einige der hundertfünfzig Pferde unseres Antriebsaggregats, um eine Kollision mit dem schönen Schiff hinter uns zu vermeiden.
Dieser Ausflug stand jedoch unter einem seltsamen, um nicht zu sagen schlechten Stern. Trotz des Windes fädelte der Skipper die Lilly schön in die Schleuse ein. Dort sollte, da zu Tal geschleust wird, eine einzelne Leine mittschiffs genügen, um Lilly an der Schleusenwand zu halten. Also wie gehabt. Nur hatten wir immer noch diesen Wind von achtern. Und so machte ich völlig entspannt unserer Vollmatrosin Christine den Vorschlag, sie könne die Leine ja ein weiteres Mal um den Poller an Bord werfen. Dies gäbe mehr Bremswirkung durch Reibung der Leine am Poller. Das machte sie dann auch und ich holte ein extra dafür gedachtes Messer, um die Leine, die sich in der Folge verklemmte, durchzuschneiden. Obwohl der Skipper zwischen der etwas verunsicherten Meldung von Christine, dass sich da etwas verheddert habe und dem Kappen der Leine nur ca. fünf Sekunden vergingen, gab es einen ordentlichen Platsch und mehrere hin und her Schwanke. Glücklicherweise keine weiteren Personen- oder Sachschäden, ausser einem kleinen Gewürzgestell in der Kombüse, welches umfiel. Was für ein aufregender Start in ein ansonsten gemütliches Wochenende. Soll keiner sagen, dass Ausflüge mit der Lilly auf ruhigen Gewässern langweilig seien. Bei uns ist Aktion inklusive.
Aus der Schleuse fuhren wir problemlos auf die Saône hinaus, um dieses Mal über Steuerbord abzubiegen und zu Tal in Richtung Seurre zu navigieren. Die Saône ist hier breit, ruhig und tief. Es lässt sich nur aus den Karten entnehmen, dass es zu Tal und nicht zu Berg geht. Schon Napoleon als auch noch früher, Kaiser Nero liessen sich darüber aus, dass die Saône nicht so recht wisse, in welche Richtung sie fliessen wolle. Kurz es gibt fast keine Strömung. Der Bodensee hat, glaub ich, mehr davon.
Schon bald kam die Derivation, die künstliche Abkürzung, in Sicht. Wenn wir nicht in der Manier eines Wildwasser-Kanuten über ein Wehr hopsen wollten, würden wir tunlichst der Verkehrsführung folgen und in die Derivation einbiegen. Diese liess uns leicht nach Backbord navigieren. Dieser Kanal ist sehr breit, da für die Grossschifffahrt gebaut. Wir begegneten allerdings nur einem Hotelschiff, kurz vor der Schleuse Seurre. Jetzt kam der nächste spezielle Moment. Eigentlich simpel. Lilly musste via UKW-Funk an der Schleuse angemeldet werden. Selbstverständlich hat der Skipper eine Funklizenz und eine Ausbildung mit bestandener Prüfung hinter sich. Jedoch, dies würde sein allererster Funkspruch sein. Selbstverständlich hat sich der Skipper vorbereitet und ein hübsches Sätzchen auf Französisch vorbereitet. Ein wenig peinlich war ihm schon, dass der Schleusenwärter ziemlich rasch auf Englisch wechselte und uns ausserdem auf die Rettungswestentragepflicht in Schleusen aufmerksam machte. Hatten wir vollkommen vergessen, wurde aber unmittelbar korrigiert.
Nach der Schleuse, die als Grossschifffahrtsschleuse mit den Massen 180 × 12 Meter bei einem Hub von 3,75 Metern unsere Lilly winzig erscheinen liess, hatten wir genug der Premieren und suchten nach dem Liegeplatz für die Nacht, der in den Karten eingezeichnet war. Unsere Vorstellung, dass im Herbst nicht viel los sein müsste und jederzeit ein Liegeplatz zu finden sein sollte, erwies sich als blauäugig. Das bequeme Quai war, teilweise doppelt, also mit zwei Schiffen nebeneinander, belegt. Also kurvten wir um das kleine Inselchen dort und fuhren langsam gegen die nicht existierende Strömung wieder zu Berg bis zum Steg mit den quer zum Fluss liegenden Schwimmstegen. Hier war fast alles frei. Also manövrierte der Skipper die Lilly in so eine Bucht. Seitlich genügend Platz, jedoch reichten die Schwimmstege nur bis ca. zur Hälfte der Länge unseres Schiffes. Machte nichts, da man achteraus problemlos genug Platz hatte, um um uns herumzukurven. (Poah, mit diesem Satz habe ich sämtliche mir bekannten Rechtschreib- und Grammatikkorrekturprogramme in die Knie gezwungen, ha.).
Nachdem wir uns in der Capitanerie angemeldet und unseren Obolus für eine Übernachtung entrichtet hatten, gönnten wir uns den wohlverdienten Ankertrunk, sprich einen hübschen Apéro auf Lillys Veranda. Es war einer der letzten angenehmen Abende dieses Herbstes.
Es kühlte dann mit dem Sonnenuntergang doch recht ab, was dazu führte, dass wir ins Steuerhaus dislozierten, um das Abendbrot, welches von Christine ohne Brot kredenzt wurde, zu uns zu nehmen. Dort war es deutlich wärmer und gemütlicher.
Der folgende Tag wurde mit einem ordentlichen Brunch begonnen und das sollte nicht das grösste Highlight gewesen sein. Nachdem dem leiblichen Wohl Genüge getan worden war, machten wir uns zusammen auf, um Seurre zu besichtigen. Viel gibt es da nicht, dafür ist das Wenige nett und hübsch anzusehen. Zudem liefen wir ungeahnt in einen Wochenmarkt. Sowas ist immer speziell und unterhaltsam und meistens findet man da etwas, was man gar nicht gesucht hat, aber, wenn es dann in den eigenen Besitz übergegangen ist, kann man sich gar nicht vorstellen wie man sein ganzes Leben ohne dieses Ding verbracht haben konnte.
Bevor wir unseren Schritt zurück zur Anlegestelle richteten, schlenderten wir noch etwas durch den Ort.
Das Ablegen war recht simpel, zurückstossen und über Backbord wenden. Es gibt an dieser Stelle drei Richtungen, die man einschlagen kann. Die Saône hinauf, wo wir herkamen, oder weiter hinunter. Und zusätzlich kann man den Flussarm, den wir auf der Derivation umfahren hatten, wieder hinauf, also zu Berg fahren. Dies ziemlich weit, bis nach Lechâtelet, wo die alte Schleuse ausser Betrieb und gesperrt ist.
Dort sollte es gemäss unserer Unterlagen ein Quai zum Anlegen geben, ausserdem einen kleinen Hafen mit Schwimmstegen, ähnlich denen, die wir letzte Nacht belegten. Dorthin zu kommen bedeutet ca. zwei Stunden Fahrt durch eine schöne Landschaft und mit ein paar recht engen Flussbiegungen, was die Fahrt interessant machte.
Weniger schön war, dass die Anlegestelle, die angeblich rechtsufrig Visavis Lechâtelet zu finden sein sollte, es nicht war. Nichts zu sehen. Also wandte der Skipper seine Aufmerksamkeit dem kleinen Hafen unterhalb der alten Schleuse zu. Es gab eine kleine Lücke zwischen zwei dort liegenden Schiffen. Aus der Ferne sah das schon etwas eng aus. Die Eignerin hatte Bedenken, dass wir da wirklich reinpassen würden und ob wir das überhaupt dürfen. Am liebsten wäre sie umgekehrt. Des Skippers Reaktion war: Zurückfahren, nicht ohne es zumindest probiert zu haben. Also in ganz langsamer Schleichfahrt auf die Lücke zu und dann gaaanz vorsichtig einfädeln. Ein netter Skipper von einem Nachbarboot half uns mit den Leinen und schon lagen wir mit dem Heck, also mit der Veranda, zum Sonnenuntergang.
Dank unserer Länge beschränkte auch seitlich nichts unseren freien Blick.
Am schiffbaren Ende dieses Flussabschnittes war es sehr ruhig, still und später auch richtig dunkel. So ein Zustand ist in unserer hektischen Welt so selten geworden, dass es für uns beinahe etwas Sakrales hatte.
Zuvor gab es aber einen Apéro auf der Veranda und anschliessend einen Spaziergang durch den Ort. Am nächsten Morgen legten wir ab und fuhren die ganze Strecke bis zu unserem Liegeplatz vor dem Atelier H2O in einem Stück zurück. Die Anmeldung an der Schleuse Seurre, dass wir dieses Mal zu Berg schleusen wollen würden, machte der Skipper direkt in Englisch. Die Fahrt verlief ereignislos, aber genüsslich. Nicht zuletzt, weil unser Gast Freude am Steuern unseres Schiffes hatte, was er auch mit Bravour erledigte. Nur nahm er immer mehr Gas weg. Er schien das Vergnügen ausdehnen zu wollen, dies, obwohl sie noch eine zweieinhalbstündige Heimfahrt vor sich hatten. Es spielte auch keine Rolle, dass ich darauf hinwies, noch tanken zu wollen, bevor wir in die Schleuse in Saint Jean de Losne einfahren würden. Er wollte das Steuer beinahe nicht mehr hergeben, als es darum ging am Landungssteg der Tankstelle anzulegen. In der Folge missriet mir ebendieses Manöver mehrmals, bis es endlich klappte. Es war aber auch nicht so einfach. Ich befürchtete ein Touchieren mit den Dalben, an denen der Schwimmsteg hing. Ausserdem mussten wir mit dem Heck zu Berg und gegen den Wind anlegen, damit wir den Tankstutzen an der richtigen Seite haben würden. So half auch hier am Ende nur ein Eindampfen in eine Vorspring. Nun kam die nächste Premiere. Selber tanken. Klar, wie mit dem Motorrad an der Tankstelle, Kreditkarte in den Schlitz, gewünschtes auswählen, Zapfhahn in den Tankstutzen einführen. Soweit so einfach. Nur war das mit der Menge bis es voll war nicht so klar. Es gab jedenfalls eine ordentliche Sauerei, bei der wir mit einer grösseren Menge Küchenkrepp verhindern konnten, dass etwas von dem Diesel in den Fluss lief. Mit vereinten Kräften wurden wir der Situation Herr und schleusten endlich nach oben in den Hafen, wo die nächste Überraschung auf uns wartete. Unser Liegeplatz war besetzt, wir waren darob entsetzt. Nein, natürlich nicht, aber wir mussten etwas improvisieren. Für eine Nacht lagen wir in zweiter Position neben einem anderen Piperboat. Unsere Gäste nahmen noch eine kleine Wegzehrung und ein paar schöne Eindrücke mit auf ihren Weg nach Hause.
Am folgenden Montagmorgen beobachteten wir, wie das Boot, welches unseren Platz besetzt hatte, aus dem Wasser genommen wurde. Sofort warfen wir unseren Motor an und setzen die paar Meter zurück und lagen kurz danach wieder am angestammten Platz.
Am Mittwoch dann wurde das Getriebe wieder zu den Experten zurückgeschickt.
Seither sind wieder diverse kleine Schritte auf dem Weg zur Vollendung unserer Projekte gemacht worden. Service am Motor und am Generator wurde durchgeführt, die Solarpaneele erhielten Tellerfüsse auf Kugelgelenken, sodass sie die Last auf die ganze Fläche verteilen und mit den gepolsterten «Söckchen» sollte sich der Abrieb auf dem neuen Stoffverdeck in Grenzen halten. Es sind auch schon Arbeiten an den Bodenluken, die wir im Salon haben wollen, begonnen worden. Diese, bisher nicht vorhandenen Luken, sollen uns einerseits mehr Stauraum und andererseits den Zugang zur Bilge ermöglichen.
Am Freitag ist Christine schon mal voraus in unser Winterdomizil gereist und der Skipper hält noch für eine Weile alleine die Stellung. Lilly dürfen wir über den Winter dort liegen lassen, während, hoffentlich bis zum Frühjahr 2022, alle Arbeiten ihren Abschluss gefunden haben und wir endlich losfahren können.
Den nächsten Bericht wird es wohl erst im Frühjahr 2022 geben.
Bis dahin eine schöne Zeit wünscht die Crew der Lilly.