Dass die Sambre, auf der wir unterwegs waren, ein kanalisierter Fluss und nicht ein Kanal ist, bemerkte der Skipper am Ruder. Kanäle sind künstlich angelegte Wasserstrassen und daher oft über längere Strecken schnurgerade, mit vielen Schleusen. Die Sambre hat sich ihr Bett in Tausenden Jahren selbst angelegt. Entsprechend interessant, abwechslungs- und kurvenreich gestaltete sich die Fahrt bis Thuin mit nur vier Schleusen, wovon eine, wie im letzten Bericht beschrieben, von einer Klappbrücke überquert wird. Eingetrübt wurde die Fahrt nur vom trüben Wetter, der September stand vor der Tür. Betrüben liessen wir uns indes nicht, erhofften wir uns in Thuin, entsprechend unserer Unterlagen, einen ordentlichen Liegeplatz. Als wir uns nach der Eisenbahnbrücke langsam dem Ort unserer Begierde näherten, waren wir zuerst etwas ernüchtert. Als Erstes kommt ein langer Kai voll mit Dauerliegern, anschliessend ein nicht ganz so langer, dafür gut besetzter Schwimmsteg. Was nun, weiterfahren wollten wir nicht, auch wenn noch genügend Zeit vorhanden war und so spähten wir den Steg aus, ob wir Lilly in eine viel zu kleine Lücke zu quetschen versuchen sollten. Zu unserem Glück ging eine Crew an Bord ihres Bootes und gestikulierte uns, sie würden gleich ablegen. Etwa zwanzig Minuten später lagen wir an besagtem Schwimmsteg ordentlich vertäut und froh, dass wir doch noch hier liegen konnten. Und das taten wir dann auch für geschlagene viereinhalb Tage, in denen wir versuchten einen Unterschied zu Frankreich zu erspüren, Thuin war unsere erste Station in Belgien. Um es vorwegzunehmen, es gibt tatsächlich spürbare Unterschiede. Gebäude, Wege und Strassen wirkten einen Tick besser im Zustand, was natürlich ein sehr subjektiver Eindruck ist. Das Angebot an und in Geschäften und Läden wirkte auch etwas anders. Am deutlichsten jedoch bemerkten wir beim Apéro, dass in den Restaurants eher Bier als Wein oder Pastis getrunken wird.
Wir beschlossen ein paar Tage hier zu verbringen, Thuin gefiel uns sehr und es bietet auch einiges, was zu besichtigen sich lohnt. Nur schon die Altstadt, weit oben auf dem Hügel, mit ihren Gassen und Wegen, einem eindrücklichen Beffroi mit melodiösem Glockenspiel, hängenden Gärten, einem unglaublichen Tram-Museum etc. Auch ein längerer Aufenthalt hätte sich gelohnt, alles konnten wir nicht besichtigen. Es reichte für einen Steakhouse Abend, eine Fahrt mit einem historischen Tram aus dem Museum, eine Kletterei auf den Beffroi, wo wir mit den Fingern in den Ohren direkt neben dem Glockenspiel standen, als es seine stündliche Melodie spielte, Spaziergängen, Shoppingtouren und vieles mehr. Dazu kommt, wie der Zuckerguss auf der Torte, dass wir am Abend müde auf die Lilly kommen und uns in unserem eigenen Bett von ganz leichten Bewegungen sanft in den Schlaf wiegen lassen konnten.
Es kam der Tag, an dem uns das Zigeunerblut weitertrieb, also warfen wir die Leinen los und liessen Lilly weiter zu Tal laufen. Mittags, kurz nach zwölf näherten wir uns der Schleuse Nr.10 Monceau, bis hierher massen die Schleusen 40 × 5,2 Meter und konnten somit nur von den «kleinen» Frachtschiffen befahren werden. Ab hier gilt die Sambre als Grosschiffahrtsstrasse mit den entsprechend grossen Schleusen von 110 × 11,5 Metern. Bei diesen meldet man sich über Funk an und wird normalerweise ganztägig geschleust. Auf unsere mehrmaligen Funkrufe erhielten wir keine Antwort und so mussten wir Lilly etwas improvisiert an einen grossen Poller und einer Leiter festmachen. Nun probierten wir es per Telefon und hatten endlich Erfolg, der Schleusier brummelte zwar etwas von Mittagspause, unsere Unterlagen besagten jedoch, dass es keinen Unterbruch über Mittag gäbe. Als wir endlich einlaufen konnten, beorderte man uns ganz nach vorn. Dadurch war es der Schleusencrew möglich, das mittlere Tor zu schliessen und dadurch nur einen kleinen Teil des Wassers ablaufen zu lassen, was wir sehr begrüssten. Für die nächsten zwei Nächte hatten wir uns einen Liegeplatz in Marchienne-au-Pont ausgesucht, ein simpler Schwimmsteg ohne Infrastruktur, genau was wir benötigen. Bereits nach etwa dreissig Minuten kam er in Sicht. Zwei Personen sassen dort, was uns allerdings nicht störte, wir legten Lilly ganz am unteren Ende an. Der DBA-Website konnten wir entnehmen, dass im angrenzenden Park Clochards übernachten würden, was uns nicht abhielt. Wie eigentlich immer, wenn wir auf einem Fliessgewässer lagen, sicherten wir unser Schiff zusätzlich mit einer Kette und Vorhängeschlössern. Ganz in der Nähe befindet sich ein Metrozugang, welchen wir am nächsten Morgen nutzten, um nach Charleroi zu fahren, immerhin die viertgrösste Stadt in Belgien. Die Sambre würde zwar durch Charleroi fliessen und böte wohl auch Liegeplätze, aber unser Plan vor Charleroi abzubiegen würde dies verhindern. Auch wenn wir einen ganzen Tag in der Stadt verbrachten, hinterliess sie keinen bleibenden Eindruck bei uns, am Hauptbahnhof wurde in grossem Stil gebaut, ein neuer grosser Busbahnhof soll dort entstehen.
Nach der Sightseeingtour gönnten wir uns ein feines Nachtessen in einem äusserst geschmackvoll eingerichteten chinesischen Restaurant
Das Restaurant «Saveurs d`Asie» empfängt einen mit einem kleinen Bogenbrücklein über einen Fischteich mit Koys, direkt nach der Eingangstüre. Willkommen geheissen, ausgesprochen freundlich und zuvorkommend bedient, wurden wir von den Besitzern persönlich, einem älteren Paar sehr kleiner Chinesen, so richtig dem Cliché entsprechend. Später, als wir uns auf den Rückweg zur Lilly machten, mussten wir feststellen, dass die S-Bahn zu der Zeit gar nicht mehr fuhr. Zum Glück fanden wir noch einen Bus, der uns wieder nach Marchienne brachte.
Nach einer erholsamen Nacht und einem ersten Espresso warfen wir die Maschine an und die Leinen los und liefen weiter die Sambre zu Tal. Die Umgebung wurde immer industrieller, kunststück, befanden wir uns mittlerweile in der Vorstadt von Charleroi, wo sich grosse Betriebe an der Sambre und am Canal Charleroi-Bruxelles, in den wir kurz vor der Stadt über Backbord einliefen, angesiedelt haben. Es ist eine Freude zu sehen, dass Belgien seine Wasserstrassen für Frachter konzipiert hat und das offensichtlich mit Erfolg. So wunderten wir uns auch nicht über all die Frachter, die an diesem Kanalabschnitt lagen, um Ladung zu löschen oder zu laden. Beim Blick nach Achtern (hinten) stellten wir fest, dass wir verfolgt wurden, ein Frachtschiff näherte sich uns. Wohl wissend, dass um die nächste Kurve eine Grossschleuse kommt und die grossen Pötte stets Vortritt haben, zogen wir Lilly näher an die rechte Spundwand und verringerten die Geschwindigkeit so weit, dass wir noch manövrierfähig blieben. Das blieb dem Kapitän des Frachters nicht verborgen, jedenfalls winkte er uns beim Vorbeiziehen freundlich dankend zu. Per Funk meldeten wir uns an besagter Schleuse an und erhielten den Bescheid zu warten. Dieses Warten wuchs für uns zu einer kleinen Herausforderung an, die hohe Spundwand verfügt über nur wenige kleine Poller in grossem Abstand, sodass wir etwas improvisieren mussten, was uns dann auch gelang. Die Schleuse selbst stellte für uns dafür kein Problem dar, mit Schwimmpollern ausgerüstet, wie wir es inzwischen mögen. Der Kanal «Charleroi à Bruxelles», ein richtiger Grossschifffahrtsweg, ist schön breit, gerade, mit weiten Kurven und liegt in ansprechender Landschaft.
Für unser heutiges Nachtlager fanden wir in den Online-Infos einen Liegeplatz, der eigentlich gar keiner ist. Es ist eine hohe Spundwand, deren einzelne Paneele mittels grosser Nieten-Bolzen nach hinten verankert sind. Diese Stangen kann man verwenden, um mit einem Schäkel die Leinen daran zu befestigen. Das geht aber nur, wenn man weiss, wo diese Bolzen zu finden sind und man keine Probleme mit haufenweise Spinnengewebe, welche man zuerst entfernen muss, hat. Für uns ein grossartiger Platz, an dem in zwei bis dreihundert Metern eine komfortable Einkaufsmöglichkeit besteht. Das Verlassen des Schiffes und ebenso das an Bord gehen, kam einer kleinen akrobatischen Einlage recht nahe. Eine fünfzehn Meter-Jacht, deren deutsche Crew wir ein paar Tage zuvor schon kennengelernt hatten, rauschte zuerst an uns vorbei, wendete dann und legte hinter uns an, wohl von unserem Beispiel animiert. Wie meistens in solchen Fällen unterhielt man sich ein wenig, tauschte Erfahrungen aus und fragte nach dem woher und wohin.
Am nächsten Morgen legten wir ab und bewegten uns weiter in Richtung Brüssel. Aber so weit wollten wir gar nicht, bei Seneffe stösst der Canal du Centre auf den Canal Charleroi à Bruxelles und so bogen wir über Backbord in ebendiesen Kanal ab. Auch hier eine Klasse IV Wasserstrasse, also für sogenannte Europaschiffe ausgelegt, welches eine Länge von 85 Metern, eine Breite von 9,5 Meter und einen Tiefgang von 2,5 – 3,0 Meter haben.
Nach nur viereinhalb Kilometern gabelt sich der Wasserweg, der Steuerbordseitige ist der Neuere und grössere Kanal und führt zum monumentalen Schiffshebewerk von Strépy-Thieu. Der Backbordseitige, der Historische war unsere Wahl und dieser führt über vier alte Hebewerke mit nur je 15 Metern Hub durch den Ort Strépy. Kurz vor dem ersten der vier alten Hebewerke bogen wir in einen alten Frachthafen ein. Die dazugehörende Industriebrache lockte wohl nicht viele Schiffer an, verfügt aber noch immer über einen ordentlichen Steinkai mit starken Stahlbügeln im richtigen Abstand. Alles sieht verlassen und verwildert aus und man kommt von hier auch nirgends hin. All das hielt uns nicht ab, für eine Nacht hier liegenzubleiben. Auf einem kleinen Erkundungstrip entdeckten wir einen riesigen Haufen Brennholz. Nachdem unsere beiden Rucksäcke mit ein paar Stücken gefüllt waren, sah der Haufen noch exakt gleich aus wie zuvor. Leider war niemand dort, den wir hätten fragen können, also mussten wir, mit leicht schlechtem Gewissen, die paar Stücke einfach so in Lillys Bauch bunkern. Das war übrigens der Zeitpunkt, als uns auffiel, dass zwei unserer Klappstühle fehlten. Sie waren uns wohl in Marchienne (also schon zwei Tage zuvor) vom Achterdeck genommen worden. Da waren wir wieder einmal zu vertrauensselig gewesen und hatten sie nicht gesichert. Wir waren den Dieben dankbar, dass sie nur diese zwei mitlaufen und uns die anderen Zwei und den Tisch stehen liessen, wird uns hoffentlich eine Lehre sein.
Als nächstes Missgeschick könnte man bezeichnen, dass unser Plan, die Route über die historische Strecke zu nehmen, sich als nicht durchführbar herausstellte. Der Skipper rief auf die Telefonnummer der Hebewerke an, um uns für die Durchfahrt anzumelden, dabei wurde er von der Gegenfrage: «wie breit seid ihr?» überrascht. Auf die Antwort: «knapp vier Meter», meinte er, wir seien zu breit, wir müssten einen anderen Weg finden, ob wir das denn nicht gewusst hätten, man könne das auf der Website der Wallonischen Wasserstrassenbehörde sehen. Diesen Eintrag fanden wir dann auch, tatsächlich war, aufgrund von Bauarbeiten an einer Brücke die Durchfahrtsbreite auf 2,8 Meter begrenzt, da wären wir schön angestanden. Also gab es eine kleine Routenänderung, anstatt des historischen Zentrumskanals mussten wir etwa einen Kilometer zurück und dann scharf über Backbord abbiegen und auf dem neuen Zentrumskanal Richtung Westen weiterfahren. Auf diese Weise kamen wir in den Genuss einer Talfahrt mit dem Schiffshebewerk Strépy-Thieu, eines der weltweit grössten Schiffshebewerke, mit zwei Trögen von 112 × 12 Meter, einem Tiefgang von 3 bis 4 Metern, können Schiffe von 1350 Tonnen, 73 Meter hoch, respektive hinuntergelassen werden. Als wir uns dem Hebewerk näherten, funkten wir es an, um uns anzumelden. Die Antwort kam prompt und wir bekamen die Anweisung den rechten Trog anzusteuern und auch gleich einzulaufen. Ganz kurz vor der Einfahrt sahen wir ein Frachtschiff liegen, was an sich nichts Besonderes ist, unsere Aufmerksamkeit erhielt es nur seines Namens wegen, Lily, wie unsere Lilly, aber mit nur einem L. Ausser Lilly lag nur ein kleines Motorboot ganz vorn im Trog, offenbar war ansonsten niemand angemeldet und so schlossen sich nach kurzer Wartezeit die Tore und wir fuhren, festgemacht und mit ausgeschaltetem Motor in einer Viertelstunde 73 Meter runter. Kaum liefen wir aus dem Trog aus in den unteren Teil des Zentrumskanals, als ein Frachter ablegte, um gleich nach unserem Passieren in die offene Wanne einzulaufen und nach oben transportiert zu werden. Ein Aspekt der Physik fasziniert mich immer wieder in solchen Situationen, egal ob der Trog, mit einem, vielen oder gar keinem Schiff drin, hoch- oder herunterfährt, er ist immer gleich schwer. Das kommt daher, dass jedes Schiff genau so viele Liter Wasser aus der Wanne verdrängt wie es selbst Kilos schwer ist.
Der weitere Weg im Kanal führte uns zum künstlichen See von Mons, wo wir einen angenehmen Liegeplatz am Gästesteg fanden und Lilly festmachten. Mons, oder auf Deutsch Bergen ist nicht nur Standort des militärischen Hauptquartiers der NATO, SHAPE, es ist auch touristisch und kulturell ein sehr ansprechender Ort, darum beschlossen wir gleich ein paar Tage hierzubleiben. Der Hafen liegt zwar etwas ausserhalb und unterhalb der Stadt, was uns aber mit unseren E-Klapprädern nicht sonderlich beeindruckte.
Beeindruckt hat uns aber die Altstadt mit dem Grand-Place de Mons, dem Beffroi, den alten Gassen und Häusern, den gemütlichen Gaststätten und vielem mehr.
An einem Tag fiel uns die lange Schlange gut gekleideter Leute auf dem grossen Platz auf. Bei näherer Betrachtung war die Kleidung sogar festlich und dann bemerkten wir, dass viele der Damen Weiss trugen und besonders gut frisiert und alle Herren gut rasiert waren. Und dann fiel der Groschen, es war der neunte Neunte dieses Jahres und sie stauten sich vor dem Standesamt, Rätsel gelöst.
Ein Ausflug führte uns in den Baumarkt, wo wir nebst diversen Elektroteilen auch zwei neue Stühle für aufs Achterdeck kauften.
Ein anderer Tag bescherte uns ein Mittagessen im grossen Einrichtungshaus mit den vier blauen Buchstaben auf gelbem Grund. Auch ein neuer Teppich und ein paar andere Kleinigkeiten mussten zurück aufs Schiff transportiert werden.
Als wir genug besichtigt, gekauft, gestaunt, geschlendert, genossen und so weiter, hatten, begaben wir uns auf die letzten zwei Tagesetappen, um zu unserem Winterhafen zu gelangen. Waren wir bis Mons auf dem Canal du Centre unterwegs, heisst der Kanal ab Mons «Nimy-Blaton-Péronnes». Unser Übernachtungsliegeplatz war eine hohe Kaimauer mit Pollern in für uns zu grossem Abstand, glücklicherweise gibt es eine fest angeschweisste Rettungsleiter, welche unsere Bug-Leine problemlos aufnehmen konnte. Hier verliessen wir unser Schiff noch nicht einmal für einen Spaziergang.
Für die allerletzte Etappe unserer diesjährigen Reise benötigten wir knapp vier Stunden, inklusive der Schleuse Maubray mit einer Fallhöhe von etwa 12 Metern. Der königliche Jachtklub von Péronnes besitzt einen nagelneuen 90 Meter langen geschwungenen Gäste-Steg. Hier machten wir zuvorderst an der Aussenseite fest. Wir hatten hier einen Winterliegeplatz für Lilly reserviert und waren 14 Tage zu früh dort. Mit Dimitri, dem Hafenmeister konnten wir uns in Englisch einigermassen verständigen. Er ist ein netter hilfsbereiter Typ, mit ihm waren wir uns einig, dass ein gebogener Steg für gerade Schiffe, sagen wir mal unkonventionell ist. Da hat sich wohl ein Architekt, ohne grosse nautische Kenntnisse, ausgetobt. Elegant ist er schon, aber etwas unpraktisch, dazu kommt, beziehungsweise fehlt, ein Trinkwasseranschluss. Steckdosen für den Bezug von Strom gegen Einwurf von Münzen, gibt es. Von Dimitri erfahren wir, dass der Einbau von Wasserzapfstellen auf dem Gästesteg geplant sei, aber ob diese realisiert sind bis wir im Frühling 2024 wiederkommen werden, steht in den Sternen. Momentan hatten wir noch genügend Wasser im Tank, also kein Problem.
Die Chefin der kleinen Werft, spezialisiert auf Freizeitboote, Majorie Roelens kam mit ihrem Chefingenieur Julien zu uns aufs Schiff, um ein paar anstehende Arbeiten zu besprechen. Julien ist ihr einziger Mitarbeiter (eine wirklich kleine Werft) und somit Mechaniker, Elektriker, Schreiner und Klempner in Personalunion und wirkt sehr kompetent. Insgesamt waren wir von dem Gespräch sehr angetan. Majorie war auch bereit, meiner Harley über den Winter ein Plätzchen in ihrer Werkhalle zu lassen. Ebenso erfreulich war, dass ich ihre Adresse für Internet-Bestellungen benutzen darf, so können wir bei Rückkehr auf Lilly diverses Material bei ihr abholen. Da kommt für die neue Saison einiges an Arbeit auf mich zu, Details werden dann in den nächsten Berichten zu lesen sein. Dann kam, als Nächstes, die Suche nach einer Möglichkeit, die Harley abzuladen dran. Fündig wurden wir am Nordufer des Sees, zu Fuss brauchten wir etwa eine halbe Stunde dorthin, mit dem Schiff ca. 5 Minuten. Ganz sicher, wo genau es letztendlich klappen würde, waren wir allerdings nicht, wir würden es einfach probieren müssen. Das machten wir umgehend, zurück aufs Schiff und 300 Meter über den See. Mehrere Versuche funktionierten nicht, einmal gab es keine Möglichkeit eine Leine auszubringen, kein Ring oder Poller, ein anderes Mal war da ein Mäuerchen im Weg und beim zweitletzten Versuch passierte es, der Hydraulikschlauch für den Hebezylinder wurde aus seiner Muffe gedrückt, während ich halbwegs darunter zugange war. Zum Glück funktionierte die mechanische Sicherheitsverriegelung zuverlässig und verhinderte, dass die Plattform mit der Harley obendrauf auf mich herunter gekracht wäre. So blieb uns der Schreck und etwas Hydrauliköl aufzuputzen, aber das Motorrad blieb nun oben. In meiner Not rief ich Majorie der Werftleiterin an, um sie um Rat zu fragen, sie kam eine Viertelstunde später zu uns und schaute auch etwas ratlos drein. Es soll erwähnt sein, dass es Freitagabend ca. 18.00 Uhr war und Julien bereits im Wochenende. Christine meinte, ob wir die Harley nicht auch so wenigstens abladen könnten, ich hatte erst Bedenken des offenen Schlauchendes wegen, aber ein kleiner Test zeigte, dass kein weiteres Hydrauliköl auslief, während ich den Ablademechanismus kurz in Gang setzte. Also manövrierte ich Lilly weitere 50 Meter achteraus, also alles Rückwärts zu einer besser geeigneten Stelle, wo es dann mit vereinten Kräften, die beiden Damen mussten die Maschine gegen ein kleines Gefälle zurückziehen, doch noch klappte.
Jetzt konnte ich mich in die Motorradkluft schmeissen und die Maschine zum Parkplatz beim Jachtklub fahren, wo eines unserer Klappräder bereitstand, mit dem ich wieder zur Lilly zurückfahren konnte, um diese wiederum an den Gästesteg zu steuern. Jetzt stand erst mal das Wochenende an, das Problem mit dem Schlauch musste noch etwas auf eine Lösung warten. Majorie meinte, sie hätte schon einen Hydraulik-Spezialisten an der Hand, diesem müsse man den betreffenden Schlauch aber vorbeibringen, er würde nicht zu uns kommen. Das würde aber bedeuten, dass jemand unter die Plattform tauchen müsste, um den Schlauch von der Bordwand abzuschrauben oder wir müssten Lilly aus dem Wasser heben, um an die betreffende Verschraubung zu gelangen. Beides keine optimalen Varianten.
Mit dem Motorrad konnten wir in den darauffolgenden Tagen die eine oder andere Besorgung erledigen. Unter anderem kauften wir uns ein kleines mobiles Elektroheizgerät mit Ölradiatoren.
Auch bei uns am Steg passierte das eine oder andere. El Perro Negro, ein Piperboat legte vor uns an, um ebenfalls zu überwintern, mit dessen Skipper Paul Griffiths gab es einiges zu besprechen, zum Beispiel wie wir das mit der Stromversorgung lösen könnten. Dimitri bot einen Anschluss mit Zähler an, was über den Winter besser war, es bedurfte dafür ein langes Kabel, worüber wir beide zum Glück verfügten.
An einem Samstag machten wir mit Lilly einen kleinen Ausflug nach Antoing zum Bunkerschiff um Trinkwasser und Diesel zu bunkern. Dazu mussten wir die erste Schleuse gleich unterhalb unseres Hafens passieren und so auf die Escaut, auf Deutsch, die Schelte zu kommen. Mit vollen Tanks ging es dann die Schelte wieder zu Berg und über Backbord zur Schleuse, an der wir uns über Funk anmeldeten. Ohne richtige Anlegemöglichkeit liess man uns etwa eine Dreiviertelstunde warten. Etwas improvisiert konnten wir an einem Dalben und einer eisernen Leiter festmachen.
Ein andermal kam ein nettes belgisches Paar mit einem Traditionsschiff einer Isselaak für ein paar Tage, auch mit ihnen plauderten wir bisweilen.
Dann legte eine Jacht an, deren Eigner ein Niederländer, mit dem wir uns auf Deutsch unterhalten konnten, dieser meinte, dass es für Hydraulik-Probleme mobile Dienste gebe. All die Traktoren und Baumaschinen müssten doch vor Ort betreut werden können. Das schien mir schlüssig und so googelte ich und fand zwei Firmen mit solch einem Angebot in einem Umkreis von einer Autostunde. Dies teilte ich Majorie mit, worauf sie wohl ihrem eigenen Spezialisten etwas Druck machte, jedenfalls hatten wir plötzlich einen Termin. Ich musste ihm dann helfen, das schwere Gerät auf unsere Plattform hinunter zu hieven. Innert kürzester Zeit war dann unser Schlauch mit einer neuen Muffe mit dem Schraubanschluss zum Hebezylinder verpresst, und zwar dieses Mal richtig. Den Rechnungsbetrag dafür wurde uns von Phillippe Gerard von H2O, der Werft, wo die ganze Plattform konstruiert worden war, anstandslos zurückerstattet. Und wir konnten endlich die Plattform herunterlassen, um sie wintersicher einzupacken.
Der Rest der Berichterstattung der Saison 2023 ist rasch erzählt, Lilly gemäss unserer Checkliste Einwintern, insbesondere Kühlschrank und Tiefkühler abtauen und reinigen, Wasserhaupthahn schliessen, Leitungen leeren, Steuerhausverdecke anbringen, alles, was nicht niet- und nagelfest ist, in den Schiffsbauch räumen etc. pp. Nebenher das Motorrad in die Werfthalle stellen und einpacken.
Ganz kurz bevor wir gehen wollten, kamen Ueli und Gabi auf unseren Steg, sie hatten wir bislang nicht gesehen, aber uns immerzu gefragt, wer denn wohl die Eigner der schönen grossen Luxmotor direkt auf der anderen Seite unseres Stegs lag, sind. Dass es Schweizer sind, nahmen wir an, immerhin läuft sie unter Schweizer Flagge, gut sichtbar am Heck flatternd, dass sie aber auch noch aus unserer Region, dem Baselbiet sind, überraschte uns. Leider waren wir auf dem Sprung und konnten nur wenige Worte wechsel, versprachen aber gegenseitig, in Kontakt zu bleiben, nachdem wir nun unsere Kontaktdaten getauscht hatten.
Blieb noch dem Taxi zu rufen, welches uns nach Tournai ins Hotel brachte, von wo wir am nächsten Morgen auf den Zug stiegen und nach Basel fuhren.
Anfang April 2024 werden wir wieder an Bord gehen. Unsere Pläne für die Saison 2024 sind nicht sehr detailliert, wir wollen in dieser Zeit einfach Belgien erkunden und vielleicht einen Abstecher zur Somme, ein kanalisierter Fluss in Nordfrankreich, machen. Das wurde uns von verschiedener Seite wärmstens empfohlen. Wir werden sehen. Und Sie werden es lesen können.
Vielen Dank für Ihre Treue und Geduld.