Mitte Juli 2023 war es heiss und sonnig und wir legten ab und liefen auf dem Canal de Briare Richtung Nordosten. Nach kurzer Zeit passierten wir die Abzweigung in den alten Kanal, welcher zum Port de Plaisance von Briare führt. Vierzig Minuten später durften wir vor der ersten Schleuse auf ein Hotelschiff, die Horizon II, die zu Tal geschleust wurde, warten. Als wir realisierten, was uns da entgegenkam, manövrierte ich Lilly so gut es ging aus deren Fahrwasser. Viel Platz war allerdings nicht, deshalb befürchtete ich, dass wir von der Masse der Horizon II angezogen würden. Solch grosse Penichen mit Freycinet-Massen (38 × 5 Meter) stellen beim Kreuzen an den Skipper gewisse Anforderungen. Unter anderem Nerven wie Drahtseile. Es passierte jedoch nichts, ausser dass der Kapitän einen Daumen hoch zeigte, wahrscheinlich freute er sich, weil ich ihm so viel Platz liess. Die Weiterfahrt verlief soweit problemlos. Um ca. 11:53 Uhr liefen wir aus der Écluse des Fées aus und die nächste war in Sichtweite, allerdings bis wir dort waren, hatte der Schleusenwart seine Mittagspause schon angetreten. In Frankreich sind Mittagspause und Feierabend sakrosankt und auf jeden Fall pünktlich einzuhalten. Wir hatten jedoch auch schon das Gegenteil erlebt, nämlich dass uns jemand nach 12:00 noch geschleust hatte, wir wollen doch gerecht sein.
Es machte uns nichts aus, dass wir eine Stunde warten mussten, so konnten wir auch ein Déjeuner zu uns nehmen. Dass es aber weit und breit keinen Warteponton gab und wir uns zuerst eine passende Stelle suchen mussten, um unsere Spundwandklemmen anzubringen und festmachen konnten, erfreute uns eher weniger. Auch diese Hürde nahmen wir elegant, mehr oder weniger.
An diesem Tag schafften wir es bis zum Etang de Gazonnes wo uns unsere Unterlagen einen Liegeplatz in der Natur versprachen, aber oh Schreck, alles besetzt. Nur die Calliope und eine Jacht, mehr Poller waren nicht vorhanden. Wir wollten aber auch nicht weiterfahren und so kamen erneut unsere Spundwand-Klemmen, sowie ein grosser Häring, zum Einsatz. Dies, nachdem ein grösseres Schiff uns mit seinem Sog beinahe die Klemmen von den Spundwänden gerissen hatte.
Der Liegeplatz gefiel uns so gut, dass wir gleich zwei Tage blieben. Fuchs und Hase sagen sich hier gute Nacht, rundherum viel Natur und mehrere Speicherseen. Auch den Mücken schien es hier zu gefallen, immerhin summten sie in grosser Menge herum. Zum grillieren lud der Platz ebenso ein, was wir prompt entsprechend ausnutzten.
Hier war es auch, wo ich das defekte Heizkörper-Ventil in der Kapitänskajüte ersetzte, dabei unterstütze Urs mich telefonisch mit seinem immensen Fachwissen. Ausserdem unterstütze mich Stewart von der Calliope dabei, mit seinem Fett aus der Spraydose die Achse unseres Ruders zu schmieren. Ich hatte in letzter Zeit das Gefühl, dass das Ruder etwas schwer ging.
Am Sonntag entschieden wir, ausreichend Mückenstiche gesammelt zu haben und warfen die Leinen los. Auf dieser Strecke liegt auch ein historisches Bauwerk, ein Stück des ursprünglichen Kanalverlaufs, wovon das UNESCO-Weltkulturerbe, die siebenstufige Schleusentreppe, noch gut erhalten ist und zur Besichtigung einlädt. Der uns begleitende Schleusenwärter erzählte uns zwei Schleusen zuvor, dass es bei dieser Schleuse eine Bäckerei gäbe. Falls wir dort etwas kaufen wollten, würde er uns in der Schleuse warten lassen und die Schleusenkammer erst leeren, wenn wir wieder an Bord wären. Christine nahm das Angebot dankend an und ich konnte in dieser Zeit ein paar Fotos von der siebenstufigen Schleusentreppe machen, die aus dieser Position gut zu sehen ist.
Gleich nach der Schleusenausfahrt liegt der Hafen des Ortes mit dem sinnigen Namen Rogny les sept Écluses. Wir legten hier für einen Moment an, wussten wir doch aus dem Log-Buch der Lilly, dass sie hier in diesem Hafen für mehr als ein Jahr lag, als sie noch «Grizzled Skipper» hiess, bevor sie nach Saint Jean de Losne überführt worden war. Es hätte mich gereizt, den Hafenmeister zu fragen, ob er sich an die Grizzled Skipper erinnere und vielleicht noch etwas Näheres über die Umstände, welche zu der langen Liegezeit geführt hatten, wüsste.
Wir entschieden uns jedoch weiterzufahren, war es doch erst elf Uhr und wir hatten langsam das Gefühl, dass uns die Zeit davonliefe. Weit kamen wir indes nicht, am Halte Nautique von Dammarie sur Loing legten wir für die Nacht an. Weiter ging es entlang riesiger Flächen, bebauten Agrarlandes, alter, zum Teil antiker Wasserbauwerke, Alleen, Wälder und Auen, als auch vereinzelter Wohnbauten verschiedenster Alter, Stile und Zustände. Dabei wurden wir von weissen Wolkenfetzen auf blauem Hintergrund und angenehmen bis hohen Temperaturen begleitet, unterbrochen nur von wenigen Ortschaften. Eine solche Ortschaft war Montbouy, unsere Station für diese Nacht. Auf unserem Streifzug durch den Ort, mit Proviant aufstocken, beobachteten wir Kinder auf der gegenüberliegenden Seite des Kanals durch eine kleine Bresche im Gestrüpp verschwinden. Neugierig spähten wir ihnen nach und beobachteten, dass sie in der noch jungen Loing, gleich neben dem Kanal planschten. Bis wir zurück, auf der Lilly, uns in die Badesachen gestürzt und wieder zurück zur Loing kamen, waren die Kinder weg und wir hatten das Planschbecken für uns. Dies war das einzige Mal, dass wir dieses Jahr irgendwo badeten. Bis wir bebadbare Temperaturen erreichten, war die Blaualgenblüte im vollen Gange und verhinderte, dass wir es gewagt hätten, uns in die Fluten zu stürzen, so sie denn erreichbar gewesen wären.
Auf der Strecke nach Montargis, wo wir ein paar Tage bleiben würden, kreuzten wir eine kleine Flotte von Unterwasser-Mähmaschinen, Booten, welche gegen die unglaubliche Verkrautung der Kanäle ankämpften. Auf Anweisung des uns begleitenden Schleusiers teilten wir einen Schleusengang mit ihnen. Der Hafen von Montargis wird zurzeit renoviert und vergrössert, was dazu führte, dass für uns, bereits um 13:30 Uhr, kein Platz mehr vorhanden war. Es blieb nichts anderes übrig, als noch eine Schleuse zu nehmen und nach zwei Biegungen an einem nicht sehr schönen Kai, dafür mit ordentlichen Pollern und genug Platz, festzumachen. Direkt neben uns befindet sich ein Verwaltungsgebäude der «Police Nationale», viel sicherer fühlten wir uns dadurch aber nicht.
Hier erreichte mich die Nachricht, dass mein Motorrad repariert sei und mein Leib und Magen-Mechaniker sich freuen würde, wenn ich es zeitnah abholen könnte, er benötigte den Platz. Dass Lilly hier am Kai optimal lag, um einen Aufladevorgang zu ermöglichen, konnten wir als zusätzliche Motivation, um das dadurch anstehende Abenteuer ins Auge zu fassen, betrachten. Zum Bahnhof von Montargis benötigen wir etwa zwanzig Minuten zu Fuss. Im grossen, randvollen Rucksack befanden sich einzig die Motorradklamotten, schwer wie eine Ritterrüstung, was ja der Funktion nach gewissermassen dasselbe ist. Christine blieb auf der Lilly allein zurück und ich fuhr mit dem Zug in einer Stunde nach Paris, den Bahnhof wechseln und in drei Stunden mit dem TGV in Basel SBB ankommen. So geht das.
Für eine Nacht in unserer Wohnung und am nächsten Morgen mit der Trämmli (wie wir Basler liebevoll zu unserem öffentlichen Nahverkehrsmittel sagen) nach Oberwil, wo ich wieder mit meiner geliebten Harley vereinigt wurde. Die Rückreise zu Christine und Lilly dauerte deutlich länger als mit dem TGV (ich habe noch keine Harley mit 320 Km/h über die Landstrassen brettern sehen) und war auch nicht ganz so bequem, dafür um so beglückender. Für die ca. 455 Kilometer, ohne einen Meter Autobahn, benötigte ich etwa acht Stunden, inklusive einer halbstündigen Rast und zweier Tankstopps. Um 18:30 Uhr erreichte ich unseren Liegeplatz, wo ich feststellen musste, dass Lilly nicht mehr an genau dem Platz lag als an demjenigen zur Zeit meiner Abreise einen Tag zuvor. Christine erzählte mir, dass die Security Leute, welche schon die Liegegebühr kassiert hatten, von ihr verlangt hätten, dass sie Lilly um ein paar Meter nach vorn verholen solle, weil ein Hotelschiff angemeldet sei, welches den Platz benötigte.
Ganz allein löste sie das Problem, indem sie einen anderen Skipper unter Zuhilfenahme eines online-Übersetztungstools um Hilfe bat. Gemeinsam verholten sie Lilly um die paar Meter. Es erfüllt mich mit Stolz, so eine patente Schifferin an Bord zu wissen, wenn es darauf ankommt. Um die Harley aufzuladen, mussten wir die Aktion indes wieder rückgängig machen, was insofern kein Problem war, als das Hotelschiff, welches bereits dort lag, genügend Platz hatte. Jetzt sei Lilly wieder komplett, meinte sie nach Abschluss der Aktion.
Obwohl Montargis für sich eine Reise wert wäre, startete ich am nächsten Tag, frühmorgens um 09:30 Uhr die Maschine und wir warfen die Leinen los. Um die Mittagszeit erreichten wir bereits den vorher ausgesuchten Platz und fanden ihn leer. Lilly füllte ihn komplett. Gute Poller und eine Tisch-Bank Kombination, ansonsten nur Natur, kein Weg, gar nichts. Ruhe pur. Aber nur für eine Nacht. In Château Lahdon fanden wir einen ähnlich angenehmen Liegeplatz. Mit unseren E-Klapprädern radelten wir auf den Berg, wo der zugehörige Ort mit dem Château ist. Wir kamen zwar nicht ins Schloss, aber für einen Apéro reichte es dann doch. Erst am übernächsten Tag ging es weiter, bis zum Hafen von Souppes sur Loing. Von uns unbemerkt wechselten wir vom Canal de Briare in den Canal du Loing, dem Vierten in einer Kette zwischen der Saône und der Saine.
Dieser Halte Nautique bot ein gutes Steinkai, Poller sowie Wasser und Strom. An einer modernen Säule konnte man mittels Kreditkarte einen entsprechenden Zapfpunkt für einen vernünftigen Preis, freischalten, das Liegen an sich kostete nichts und die sonstigen Bedürfnisse bezahlt man nach Bedarf. Im Weiteren gab es Toiletten und getrennte Abfallentsorgung. Einige Dauerlieger besetzten das Ende des Kais, aber für Transit Kundschaft wie wir es sind, gab es genügend Platz. Sehr zufriedenstellend. War dieser Tag eher bewölkt, so begrüsste uns der nächste Morgen mit viel mehr Blau am Himmel und brachte uns bis Nemours, einer dreizehntausend Seelen-Stadt. Bemerkenswert fanden wir das unglaublich klare Wasser des Kanals und dazu die wahrscheinliche Ursache dafür, nämlich, dass er stark verkrautet war. Wir überlegten kurz hier ein Bad zu nehmen, entschieden uns trotz des schönen Wassers dagegen, der vielen Wasserpflanzen wegen, sie hätten uns permanent am Bauch gekitzelt.
Anderntags erreichten wir den Halte Fluviale Moret sur Loing, wo wir einen Liegeplatz reserviert hatten. Der Ort, aber auch dieser Hafen wurde uns von Roberto und Ursula von der La Fenice, wärmstens empfohlen, und so buchten wir gleich für ein paar Tage. Von hier ist die Seine nur noch ca. 1.5 Km entfernt. Man könnte getrost von einem Meilenstein auf unserer Reise sprechen. Ausserdem kamen die Kinder auf ihrem Rückweg von ihren Wohnmobilferien am Atlantik für eine Übernachtung bei uns vorbei. Auch wenn wir seit ihrem ersten Besuch auf der Lilly auf ihrem Hinweg, von Ménétréol bis Moret in 17 Tagen 145 Kilometer zurückgelegt hatten, lagen wir immer noch auf der Mitte ihres Weges, einfach etwas nördlicher.
Nicht weit vom Hafen, wo mehrere Pipers und andere grosse Wohnschiffe liegen, jeweils im Zweierpack, also eines am Steg festgemacht und das zweite an der Aussenflanke des Ersten, liegt die Altstadt. Schade ist, dass der ganze Verkehr über die Loing durch die Hauptgasse und durch ein veritables Nadelöhr, ein Tor unter dem Turm direkt an der Brücke führt. Es ist sogar notwendig, den Verkehr mittels einer Ampelanlage einspurig durchzuschleusen. Man stelle sich eine Ampel mitten auf der alten ehrwürdigen Steinbrücke mit Kopfsteinpflasterbelag vor, grässlich. Ein glücklicher Umstand war, dass an dem Abend, als wir auswärts essen gingen, gleichzeitig ein Musikfestival in der Altstadt veranstaltet und dafür die Strasse für den Verkehr gesperrt wurde. So konnten wir draussen sitzen und zum Essen schöne Musik hören, einfach grossartig. Spannend gestalteten sich auch die diversen Kontakte zu den anderen Skippern um uns herum. Einerseits bekamen wir einige sehr nützliche Tipps und Hinweise auf Informationsquellen und andererseits lernten wir interessante Menschen mit ihren Geschichten kennen. Lustig war auch der Kontakt zur Hafenmeisterin. Uns wurde erzählt, dass sie ursprünglich aus dem Elsass käme und ausser Französisch und Englisch auch hervorragend Deutsch sprechen würde. Wir kommen bekanntlich aus Basel, dieses liegt am Dreiländereck. In dieser Gegend gibt es drei ähnliche Dialekte des Alemannischen, in Deutschland das Badische, in der Schweiz Baseldeutsch und in Frankreich Elsässisch. Wir unterhielten uns versuchsweise in unseren angestammten Dialekten, sie sprach elsässisch und wir baseldytsch, obwohl sie seit Jahren kein Elsässisch mehr gesprochen hat, verstanden wir uns hervorragend.
Wie meistens bunkerten wir Trinkwasser am Vorabend der Weiterfahrt, das war aus zwei Gründen bitter nötig. Erstens hatten wir über eine Woche zuvor zuletzt Wasser aufgenommen und zweitens ist es sehr hilfreich beim Diesel bunkern, wenn der Trinkwassertank voll ist. Unser Trinkwassertank fasst ca. 1600 Liter und ist zuvorderst im Bug platziert. Durch den zusätzlichen Ballast taucht der Bug etwa fünf Zentimeter tiefer ein, dies führt dazu, dass der lange flache mittschiffs liegende Treibstofftank hinten nicht so tief liegt. So können wir ihn besser befüllen.
Das machten wir nämlich, kaum, dass wir abgelegt hatten. Runter bis zur Seine und zuerst etwa hundert Meter zu Berg und vor der Brücke einen grossen Bogen über Backbord, um mit dem Heck gegen die Strömung bei der Tankstelle am gegenüberliegenden Ufer festzumachen. Aus unseren Unterlagen wussten wir, dass es dort möglich ist, direkt mit dem Zapfhahn vom Ufer aus das Schiff mit Treibstoff zu befüllen. Wir wussten auch, dass die Seine eine Grossschifffahrtswasserstrasse ist und von entsprechend vielen grossen Schiffen befahren wird, darum haben wir nach allen Richtungen aufgepasst, bevor wir das Wendemanöver über den ganzen Strom durchführten. Wie sich dieser Verkehr beim Tanken auswirken würde, merkten wir leider erst, als er es tat. Als unser Tank nahezu voll war, wurden wir vom Wellenschlag eines vorbeilaufenden Frachters erfasst. Der Diesel sprudelte nur so aus dem Tankstutzen, hektisch verschloss ich ihn und mit den bereitliegenden Lappen und Küchenpapiertüchern saugten wir die Sauerei vom Deck, knapp bevor etwas davon im Wasser landen konnte. Den gut mit stinkenden Lappen gefüllten Eimer nahm uns der Mann von der Tanke freundlicherweise ab und entsorgte die Lappen und Papiertücher, bevor ich zur Kasse ging. Hier gibt es ausserdem einiges an Schiffszubehör, was wir auch gleich noch ausnutzten und ein paar Kleinigkeiten mitnahmen.
Endlich konnten wir uns aufmachen und die Seine zu Tal in Richtung Paris unter den Kiel nehmen.
Im Vergleich mit der langen Kanalstrecke zuvor war die Seine befreiend. Zwar Grossschifffahrt, aber auf diesem Abschnitt nur wenig Verkehr und die grossen Schleusen in weitem Abstand, plus die Geschwindigkeitsbegrenzung liegt jenseits der maximalen Rumpfgeschwindigkeit von Lilly. Also schob der Skipper den Gasgriff etwas weiter nach vorn als in den Kanälen und Lilly pflügte mit rund 10 Km/h über Grund durchs Wasser. Unser Schiffsdiesel freute sich auch, er konnte mal wieder richtig heiss werden, was für diese Art Motoren viel besser ist als die zurückhaltende Fahrt auf den kleinen Wasserstrassen. Auf diese Weise schafften wir innert weniger Stunden knapp über dreissig Kilometer und erreichten schon am frühen Nachmittag Melun. Ein sehr langer stabiler Stein Kai bot genug Platz für uns und noch zwei andere Pipers welche wir vom letzten Hafen kannten und die wohl dasselbe Ziel, Paris hatten. Im Gegensatz zu den Anderen blieben wir zwei Nächte hier liegen, dafür kamen zwei weitere Pipers, die wir ebenfalls vorher schon kennengelernt hatten. Es war also etwas los auf der Seine. Der Platz ist etwas exponiert, der Schwell der grossen Frachter, die hier vorbeiliefen, liess Lilly regelmässig tanzen. James von der Mimosa, dem Schwesterschiff der Lilly, erzählte uns, dass sie in der vorangegangenen Nacht schon hier lagen und es ordentlich stürmte. Sie hätten ca. einen Meter hohe Wellen gehabt, es sei ein wenig ruppig zu und hergegangen. Melun mit seinen 40 000 Einwohnern bietet einiges, was einen Besuch wert macht, für uns reichte es jedenfalls. Am Abend vor der Weiterfahrt riefen wir die Hafenmeisterei vom Port Arsenal in Paris an, um nach einem Liegeplatz für zwei bis drei Nächte zu fragen. Die Antwort fiel positiv aus, was umso überraschender war, als es Anfang August, normalerweise völlig überlaufen ist und wir gelesen hatten, dass man für Arsenal Monate zuvor reservieren müsse. Wir hatten Glück und bekamen umgehend das OK. Möglicherweise lag das aber auch daran, dass im August die höchste Preiskategorie galt, nämlich stolze 90 € pro Nacht für unsere Länge und Anzahl Personen. Für uns reichten die zwei Tage, klar hätten wir noch viel mehr Zeit in dieser Weltstadt verbringen können, mussten uns aber leider auf ein paar wenige Hotspots beschränken, hatten wir doch immer noch ca. ein Drittel unseres Weges vor uns.
Als wir anderntags die Leinen losmachten und Lilly über Steuerbord drehten, um weiter in Richtung Paris die Seine zu Tal zu laufen, taten es uns die anderen beiden Piperboats gleich. Wir hatten einen Frachter vor uns und versuchten an ihm dranzubleiben. Es ist eine gute Idee, um auf diese Weise rascher schleusen zu können, da die Frachter immer in Eile sind und bei den Schleusen bevorzugt behandelt werden, sprich mit möglichst kurzer Wartezeit. Für ein paar Freizeitschiffe hat es hinter dem Frachter in den riesigen Schleusen meistens auch noch Platz. Für die Nacht hatten wir uns auf der Website der DBA einen speziellen Liegeplatz ausgesucht. Gemäss dieser Informationen gehörte der Betonkai einem ehemaligen Nautik Club und es soll Hinweise auf Besuche von jungen Leuten geben. Als wir den Platz, etwas versteckt unter Bäumen, entdeckten, empfanden wir ihn nicht als besonders einladend, weil für uns passende Liegeplätze an solchen Flüssen dünn gesät sind, entschlossen wir uns es hier zu versuchen. Dafür wollte der Skipper das Schiff zuerst wenden, um mit dem Bug gegen die Strömung anzulegen. Blöderweise mussten wir das Vorbeilaufen zweier Frachtschiffe abwarten und kamen dabei immer näher zu der unterhalb liegenden Brücke, bis es nicht mehr anders ging, als vorschriftswidrig unter dem äusseren Brückenbogen durchzulaufen, um dann von unten auf dem korrekten Weg zum Kai zurückzufahren. Abgesehen davon, dass ich nur hoffen konnte, dass die Wassertiefe ausreichen würde, geschah das Ganze unter dem kritischen Blick der beiden Kapitäne, welche sich ihren Teil wohl gedacht haben werden. Wir waren froh darüber, am Ende gut vertäut für eine Nacht zu liegen. Etwas mulmig konnte einem hier schon werden, der Kai und die Umgebung machten keinen Vertrauens-erweckenden Eindruck, die einbetonierten Klampen zumeist gebrochen, die Umgebung verwahrlost, die Stimmung düster. Es stürmte und die Bäume, dicht am Ufer, ragten über uns auf und der starke Wind liess einen fürchten, dass ein Ast abbrechen könnte. Gleichwohl genossen wir den Abend und schliefen gut, ohne dass Probleme jeglicher Art aufgetreten wären.
Es lag nun nur noch eine Tagesetappe von etwa dreissig Kilometern vor uns bis Port Arsenal, mitten in Paris. Auf halber Strecke wollten wir Urs mit seiner Soloris treffen, zumindest fanden wir seine aktuelle Position auf MarineTraffic.com und hofften, dass er noch dort liegen würde, bis wir eintreffen würden. Siehe da, als wir unter der Brücke «Pont de Choisy le Roi» durchliefen, machten wir ihn am rechten Ufer liegend, aus. Also wendeten wir, um mit dem Bug gegen den Strom bei ihm längsseits zugehen. Er stand schon bereit, um uns die Leinen abzunehmen und kam dann zu uns ins Steuerhaus für einen Kaffee und einen Schwatz, wo es natürlich um das woher und wohin ging und was man so alles erlebt hatte, seit man sich zuletzt getroffen hatte. Wo der jeweils Andere sich befindet, wussten wir stets, AIS und MarineTraffic seis gedankt. Auch technisches kam nicht zu kurz, leider reichte die Zeit nicht für alles, wir wollten schliesslich heute noch den Hafen Arsenal erreichen. Des Weiteren berichtete er von den Umständen, die dazu führten, dass er nicht auf seiner geplanten Route zu seinem Winterhafen fahren konnte, sondern umkehren musste, um den ganzen Weg zurückzufahren, Wassermangel in den Kanälen. Das sind genau die Gründe für unseren Entscheid, uns Richtung Norden zu verschieben. Wir hoffen, ihn mit seinem futuristisch-innovativen Schiff wieder einmal an einem anderen Ort anzutreffen. Zwei Stunden später, kurz vor der Schleuse zum Hafen funkten wir die Capitanerie an und erhielten die Anweisung ein paar Minuten zu warten, es würde uns ein Boot aus der Schleuse entgegenkommen. Es gab keinen richtigen Warteponton, was uns zu einem etwas ungemütlichen Festmachen an einem kleinen Steg direkt vor der Einfahrt zwang. Das Boot lief an uns vorbei und das Signal blieb auf Rot. Toll. Nach einigen Minuten und erneutem Funkkontakt wechselte es auf Grün und wir liefen in die Schleusenkammer ein, machten an den beiden Schwimmpollern fest und schon füllte sich die Kammer. Im Schleichgang liefen wir durch das grosse Hafenbecken auf der Suche nach dem Liegeplatz mit der Nummer 142, die wir über Funk erhalten hatten. Wir fanden ihn ganz am Ende, der drittletzte Platz vor dem Tunell des St. Martin-Kanals, welcher unter der Bastille durchführt. Für den Weg zum Hafenmeisterbüro, um den Papierkram zu erledigen, mussten wir etwa sieben Minuten spazieren und dabei eine Passerelle überqueren, dabei liegt das Büro beinahe in der Mitte des Hafens.
Was wir in Paris trieben und wie es danach weiterging, erzählt der nächste Bericht.