Soweit hatten wir es bis jetzt pannen- und unfallfrei geschafft, die petite Saône, den Canal des Vosges, den Verbindungskanal, den Canal de Marne au Rhin, die Mosel zu Tal, die Saar zu Berg und den Saar-Kohlekanal. Jetzt befuhren wir wieder den Canal de Marne au Rhin in östlicher Richtung auf der Scheitelhaltung. Scheitelhaltung bedeutet, dass es in allen drei Richtungen via die Schleusen hinuntergeht, also zu Tal.
Auf der von uns befahrenen Strecke würden wir noch zwei Tunnels und den Schräglift beim Hebewerk Arzwiller bewältigen müssen, aber dazu später mehr.
Momentan fühlten wir Erleichterung, angesichts der üppig bemessenen Speicherseen, die vor unseren Augen lagen, sobald wir auf den Damm neben dem Kanal, geklettert waren. Erleichterung, obwohl auch auf diesem Kanal Wasser gespart werden musste. Dies äusserte sich in der gut sichtbaren Tatsache, dass der Wasserspiegel auch hier um ca. 30 cm abgesenkt worden war.
Am heutigen 1. September kamen wir bis zum Halte Nautique von Gondrexange. Ausser einem Spaziergang durch den Ort diente uns dieser Liegeplatz nur für eine Übernachtung. Der nächste Tag brachte uns bis zur Anlegestelle eines Ortes mit dem fast unaussprechlichen Namen Xouaxange. Wir kannten diesen Liegeplatz von unseren ersten Ferien mit einem Mietboot, leider ist der Steg in all den Jahren nicht besser geworden. Zudem brauchten wir einiges an Improvisationsvermögen, um Lilly trotz des niedrigen Wasserspiegels sicher festzumachen. Das Problem äusserte sich darin, dass Lilly drohte unter dem Steg durchzurutschen und sich dabei ihr Farbkleid zu zerkratzen. Vermeiden liess sich das nur mit kreativem Platzieren der Fender und Reibehölzer. Wäre der Wasserstand normal gewesen, hätten wir kein zu erwähnendes Problem gehabt. Trotzdem blieben wir hier übers Wochenende liegen. Einerseits hatten wir noch viel Zeit, um nach Strassburg zu gelangen und andererseits gefiel es uns hier. Zu besichtigen gab es nicht viel, aber der Liegeplatz war gemütlich und wir fanden ein Restaurant, Auberge Mesnil, Xouaxange, welches wir einmal für einen Apéro und anderntags für ein feines Znacht frequentierten.
Auf der Weiterfahrt stoppten wir kurz vor Mittag beim Wohnbootvermieter Kuhnle Tours in Niderviller. Den zuständigen Hafenmeister rief ich etwa zwei Wochen zuvor an, um zu fragen, ob wir für eine Internet-Bestellung seine Basis als Lieferadresse verwenden dürften. Wir durften, und daher marschierte ich ins Hafenbüro, wo ich etwa fünf Schachteln in Empfang nahm. Für die Nacht legten wir im Hafen kurz vor dem ersten Tunell, nur ca. 20 Minuten später, an. So früh am Nachmittag war der Hafen völlig unbelegt, wir hatten die Qual der Wahl. Hier hatten wir geplant bis zum nächsten Morgen zu bleiben, und zwar aus einem so triftigen als auch stupiden Grund. Obwohl unsere Service- als auch die Motorstarterbatterien vollgeladen waren, brauchten wir Landstrom, und das nur, um die Starterbatterie des Generators zu laden. Dieser liess sich, als wir ihn ein paar Tage zuvor hätten brauchen können, nicht mehr starten. Die Starterbatterie hatte sich, über Wochen des Nichtgebrauchs, gemütlich über die Anzeige der Steuerung, entladen. Vom Skipper unbemerkt, wohl weil wir seit langer Zeit über die Solar-Paneele und, bei Fahrt, vom Motor, mit mehr, als genug Strom, versorgt wurden. Leider wird besagte Starterbatterie nur im Betrieb des Generators oder via eingestecktes Landstromkabel, geladen. Eine weitere Pendenz, Änderung der betreffenden Verkabelung! Für dieses Abrutschen in allzu technisches Vokabular entschuldigt sich der Schreibende in aller Form. Vielleicht lässt sich dabei erahnen, mit welch komplexen Problemen sich Schifferleute täglich herumzuschlagen haben.
Obwohl sehr ruhig gelegen, bot dieser Hafen doch einiges an Unterhaltung. Zum einen passierten mehrere Boote am Hafen vorbei, um in den Tunell einzufahren, oder sie kamen von dort. Zum anderen legten ein privates Boot, zwei Mietboote und ein Hotelschiff für die Nacht bei uns an. Gerade die Crew des einen Mietbootes waren dankbar für unsere Hilfe beim Anlegen, war es doch seit der Übernahme und Abfahrt, von der Vermietstation, das allererste Anlegemanöver für sie. Entsprechend nervös waren sie. Spannend war, dass diese Crew aus Journalistinnen bestand, welche an einem entsprechenden Reisebericht arbeiteten. Zwischenzeitlich habe ich, google sei es gedankt, den Bericht gefunden: hier der Link.
Die eine Hälfte der Crew der Lilly, also Christine, machte später den obligaten Spaziergang mit Besichtigung von Niderviller und entdeckte dabei die letzte traditionelle Ziegelei von Lothringen. Ziegelei Henselmann
Der Skipper musste im Hafen bleiben, um die Hafenmeisterin nicht zu verpassen, wenn sie die Gebühren einkassieren kam. Wichtig war dabei, dass der Strom und das Wasser eingeschaltet wurden.
Nachdem das erledigt und die Crew wieder komplett war, verlief der Abend in seiner gewohnt gemütlichen Art auf Lillys Achterdeck.
Am Morgen danach, noch beim Kaffee sitzend, sahen wir dem Hotelschiff «Clair de Lune» beim Ablegen und Einlaufen in den Tunnel zu. Selbst legten wir etwas später ab und wurden bei unserem Manöver ebenfalls von der Journalistinnen-Crew beobachtet.
Tunnels kannten wir ja bereits, bei diesem hier war es vonnöten Lilly in den Aufnahmebereich der Kamera der Tunnelsteuerungszentrale zu bewegen. Ziemlich rasch bekamen wir Grün und liefen in den Ersten ein. Die beiden Bauwerke sind erfreulich gut beleuchtet. Wie bei den meisten sind auch diese Tunnels mit einer schmalen Fahrrinne ausgestattet, weshalb sie auch im Einbahnbetrieb durchlaufen werden müssen. Für den Steuermann eines Schiffes wie der Lilly bedeutet das höchste Konzentration. Durch Lillys Verdrängung entsteht ein Sog zu den Wänden hin, dies abhängig von der gefahrenen Geschwindigkeit und wie präzise man die Mitte halten kann. Der Sog ist auch nicht am Bug und am Heck gleich, dazu kommt, dass die Wände nicht direkt im Wasser sind, sondern beidseitig einen Treidelpfad haben. Auf diesen sind noch die Schienen zu erkennen, auf welchen kleine Loks die Schiffe hindurchzogen. Allerdings sind die seitlichen Begrenzungen der Fahrrinne dadurch vom Ruderstand aus fast nicht zu sehen. Mit einer Länge von 480 und 2310 Metern und einer optimalen Geschwindigkeit von drei km/h gilt es besagte Konzentration über eine längere Zeit hochzuhalten. Klagen wollen wir indes nicht, beinhalten solche Herausforderungen doch auch einen gewissen Spassfaktor. Dieser wurde kurz nach Verlassen des zweiten Tunnels etwas eingetrübt, als wir der langen Schlange wartender Boote vor dem Hebewerk Arzviller gewahr wurden. Die Wartezeit gab uns Gelegenheit, das Bauwerk zu bestaunen und ein paar Fotos zu machen. Unserem ersten Ferienbericht von 2013 kann entnommen werden, dass wir es damals nur bis hierher geschafft hatten, weil zu jener Zeit das Hebewerk wegen eines Defektes ausser Betrieb war. Nicht lange nach unserer Ankunft legte direkt achtern von uns die Journalistinnen-Crew an. Mit ihnen zusammen füllten wir später den Trog und fuhren die Schrägwand hinunter. Während der Fahrt unterhielten wir uns mit dem Begleiter von VNF. Er war sehr freundlich und knipste sogar Fotos von uns auf der Lilly.
Von ihm hatten wir den Tipp gleich unterhalb des Hebewerks linksufrig für die Nacht anzulegen, es sei sein Lieblingsplatz.
Wir verbrachten eine ruhige Nacht dort, nachdem wir festgestellt hatten, dass wir komplett eingeschlossen waren. Das bemerkten wir, als wir mit unseren Klapprädern nur bis zum verschlossenen Tor kamen, und zwar auf allen vorhandenen Wegen! Wohl eine Massnahme, um Unbefugte vom Hebewerk fernzuhalten. Nur auf dem Wasserweg wäre es möglich gewesen, das Gelände zu erreichen oder zu verlassen. Zwei Mietboote leisteten uns Gesellschaft, ansonsten blieben wir allein.
Am nächsten Tag erreichten wir Lutzelbourg, ein malerischer Ort an der Zorn. Bei unserer Ankunft, es war gerade Mittag, fanden wir den lange Kai fast leer vor, was sich noch ändern sollte. Rund um den Ort steigen sanft bewaldete Hügel in die Höhe und auf demjenigen Visavis unseres Liegeplatzes, thront ganz oben die Burgruine Château de Lutzelbourg. Auf jener Seite, gut über die Brücke bei der Schleuse erreichbar, gibt es Werkstätten von Kunsthandwerkern. Diesseitig liegt der grössere Teil des Ortes mit einem Feinkost-Laden sowie zwei Restaurants und einem Bäcker mit Café. Alles in allem genügend Gründe, um hier ein paar Tage zu verweilen. Der Besuch der Burg war ein erfreuliches Erlebnis, mit Aussicht und die gemütlichen Apéros vor dem Restaurant an der Ecke trugen das ihre zu unserer Ferienstimmung bei. An verschiedenen Stellen stehen ein paar der alten Treidelloks als Zeitzeugen für damals, als die ganzen Kanäle ihren ursprünglichen Zweck als Transportwege noch erfüllten. Auch die Ausflüge zu den Kunsthandwerkern machten Spass und waren lehrreich.
Das Mietboot mit der Journalistinnen-Crew legte auf ihrem Rückweg von Savern vor uns an, wobei wir ihnen, selbstverständlich wieder die Leinen abnahmen und beim Festmachen halfen. Wir freuten uns über das Wiedersehen und wünschten gute Reise am anderen Tag.
Am Sonntag kamen wir in den Genuss eines Morgenkonzertes einer Kapelle, die hier für dieses Konzert einen Zwischenstopp einlegte.
Montags warfen wir die Leinen los und zogen weiter bis Saverne, wo wir telefonisch für ein paar Tage einen Liegeplatz für Lilly reserviert hatten. Es ist immer wieder eine Freude, wenn man die richtige Telefonnummer findet und der anwesende Hafenmeister auf unsere Anfrage für einen Liegeplatz von zwanzig Metern, wohlwollend und positiv antwortet. So auch hier, wir bekamen den Kopfsteg, welcher kurz zuvor noch von unserem Nachbarn belegt war. Er wurde vom Hafenmeister einfach umgeparkt. Selbst ein ehemaliger Hafenmeister hatte er wohl Verständnis dafür. Überhaupt waren sie nett, er, seine Frau und ihre Bordkatze Daphne. Ihren Bericht, wie sie fast zwei Jahre wegen des Corona Lockdowns, auf einer griechischen Insel mit ihrer Yacht festsassen, hörten wir staunend und mit grossem Interesse.
Interessiert hat uns auch, was Zabern, wie Saverne auf Deutsch heisst, zu bieten hat. Mit ca. 11 – 12000 Einwohnern ist es grösser als die vielen Orte am Kanal und entsprechend lebendiger. So genossen wir das Angebot an Gaststätten, Sehenswürdigkeiten und Einkaufsmöglichkeiten. Es gibt sehenswerte Plätze, Fachwerkhäuser, Denkmäler, Museen, Brunnen und Fussgängerzonen. Wir verhielten uns wie Touristen auf Städtetrip, mit dem Unterschied, dass wir im eigenen Bett schliefen und das eigene Bad etc. benutzten.
Am Freitag verschoben wir uns bis Dettwiller. Für die knapp neun Kilometer benötigten wir gerade mal drei Stunden. Beim Anlegen erhielten wir Hilfe von der Crew des dort bereits liegenden Mietbootes und trotzdem misslang das Eindampfen in eine Spring komplett. Die Schleuse, die wir soeben verlassen hatten, wurde abgelassen, was zu einer Strömung von hinten führte, dazu kam starker Wind ebenfalls von Achtern, dagegen kam Lilly nicht an und der Käptn musste das Manöver abbrechen, die Leine einziehen und das Schiff zuerst gerade ausrichten. Beim zweiten Anlauf klappte es dann, auch dank der Hilfe der Anderen. Solches Gehampel kommt zum Glück, dank wachsender Erfahrung, immer seltener vor.
Nach der Mittagsrast brachen wir zu Fuss auf in die nahe gelegene Schuhmanufaktur Heschung. Dieser Betrieb macht die Schuhe vom Entwurf bis zum fertigen Stück noch komplett in eigener Regie von Hand. Der Fabrikladen hielt auch schöne Stücke aus der letztjährigen Kollektion feil. Stolz marschierten wir mit den zwei von uns ausgesuchten Paar exklusiver Schuhe zurück zur Lilly.
Hier blieben wir übers Wochenende liegen. Ausser uns kamen nur ein paar wenige Mietboote vorbei, von denen blieben Zwei oder Drei über Nacht. Einmal lief die Madeleine, ein Hotelschiff im Freycinet Mass an unserem Liegeplatz vorbei. Obwohl die Hotelschiffe der Freycinet Klasse «nur» ca. 38 Meter lang und knapp 5 Meter breit sind, verfügen sie nicht selten über einen Pool im Bug und ein gedecktes Freideck gleich dahinter, Speisesaal mit Bar und eine Lounge. Im Unterdeck befinden sich zumeist bis zu neun Doppelkabinen mit Bad. Das Ganze in einem sehr gepflegten und luxuriösen Ambiente. Oft werden sie von wohlhabenden Amerikanern gemietet, für läppische 36'000 $ die Woche. Die Kanäle und vor allem die Schleusen in Frankreich wurden für Lastkähne, auch Penichen genannt, mit ebendiesen Aussenmassen, gebaut. Sie können also beinahe überall dort fahren, wo Lilly es kann.
War der aktuelle Liegeplatz an eine Strasse mit Häusern angrenzend, so befand sich der nächste weitab der Zivilisation. Kein Gebäude im gesamten sichtbaren Bereich, nur Felder, Wald, der Kanal mit geteertem Treidelpfad und zwei Tisch- und Bankgarnituren vervollständigten das Bild. Den einen Tisch benutzten wir, um unsere riesige Zeltblache, die normalerweise unser Oberlicht vor zu viel Sonne oder Regen schützt, zu reinigen und zusammenzulegen, damit sie in der Bilge überwintern kann. Während unseres zweitägigen Aufenthalts lief die Isabelle, eine der letzten sich in Betrieb befindenden Penichen, beladen mit Kies und Sand, an uns vorbei. Es ist immer eine Freude solche Schiffe zu sehen, erinnern sie einen doch daran, wofür diese ganzen Kanäle einst gebaut wurden.
Weiter geht es im Bericht Nr.16.